DiBiWohn. Digitale Bildungsprozesse für ältere Menschen in seniorenspezifischen Wohnformen der institutionalisierten Altenhilfe

Leitgedanken
Untersuchungsdesign
Forschungsmethoden

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Projektleitung: Prof Dr. Michael Doh (seit 09/2021 Projektkoordination: Katholische Hochschule Freiburg)
--> https://www.kh-freiburg.de/dibiwohn
Vorsitz Projektbeirat: Prof. Dr. Hans-Werner Wahl (Netzwerk AlternsfoRschung, Universität Heidelberg)
Projektbeirat: Liste
Projektkoordination: David Leopold, M.A.
Projektmitarbeitende: Dr. Mario Jokisch, Linda Göbl, M.Sc., Joshua Schlichting
Projektpartner: Katholische Hochschule Freiburg, Zentrum für Allgemeine Wissenschaftliche Weiterbildung (ZAWiW) der Universität Ulm, Stiftung MedienKompetenz Forum Südwest (MKFS), Ludwigshafen, Evangelische Heimstiftung GmbH Stuttgart.
Gefördert durch: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Forschungsschwerpunkt Digitalisierung im Bildungsbereich des BMBF-Rahmenprogramms empirische Bildungsforschung. Förderkennzeichen: 01JD1908A.
Dauer: September 2020 - August 2025

Projektbeschreibung

Das Verbundprojekt richtet sich an einen Personenkreis, der bislang von Bildungs- und Digitalisierungsangeboten unzureichend erschlossen wurde: Ältere Menschen, die in seniorenspezifischen Wohnformen der institutionalisierten Altenhilfe leben (Betreutes Wohnen und Pflegewohnen). Die für das Projekt intendierte empirische Forschung umfasst zum einen bildungstheoretische Forschungsinhalte, die sich auf grundlegende Fragen zu (digitalen) Bildungsprozessen im höheren und hohen Alter und ihren Rückwirkungen auf Bildungs-, Medien- und Technikbiographie, Identitätsarbeit und Lebenswelt beziehen. Zum anderen stehen bildungspraktische Forschungsinhalte im Fokus, die sich auf die Entwicklung und Gestaltung von informellen und non-formalen digitalen Bildungsformaten richten.

Mittels einem in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz bereits etablierten Peer-to-Peer-Konzept zu digitaler Bildung im Alter sollen für diese technikunerfahrene Zielgruppe digitale Zugänge (wie Tablets und Internet) erschlossen werden und Potenziale zur Förderung und Erhaltung sozialer Teilhabe und bürgerschaftlichen Partizipation im Sozialraum erforscht werden. Zudem werden Möglichkeiten digitaler Bildungstechnologien zur Vernetzung und Weiterbildung untersucht. Die Implementierung erfolgt schrittweise zunächst an strukturstarken Standorten der Praxispartner und vorrangig in Betreuten Wohnanlagen mit integrierten Pflegeangeboten.

Die Forschungsbefunde und daraus entwickelten Bildungs- und Handlungskonzepte münden in ein Transferkonzept, das bundesweit auf weitere Wohnformen von Trägern der Altenhilfe skaliert werden soll.

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Leitgedanken der Verbundpartner

Um die vielfältigen Perspektiven, Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte sowie Forschungs- und Praxisinteressen dieses interdisziplinär angelegten Verbundprojekts bündeln zu können, haben sich die Verbundpartner auf ein gemeinsames Leitbild geeinigt, das folgende drei Aspekte umfasst.

1. Fokus auf Setting "Betreute Wohnanlagen mit integrierten Pflegeangeboten"

Das Projekt zielt im ersten Schritt (Vorbereitungs- und Implementierungsphase) vorrangig auf die Wohnform "Betreutes Wohnen" und zwar auf solche mit einem integrierten Pflegesetting. In einem weiteren Schritt (insbesondere in der Transferphase ab September 2023) sollen sukzessiv auch stationäre Pflegeeinrichtungen eingebunden werden. Für diese strategische Ausrichtung gibt es zwei Argumentationslinien:

Erstens besteht diese Bewohnerschaft aus überwiegend hochaltrigen privatwohnenden Personen, die hinsichtlich ihres Gesundheitsstatus, Pflegebedarfs wie auch in ihrem Einkommens- und Bildungsstauts und Digitalisierungsgrad vielfältig sind. Laut einer Studie von 2018 (Kremer-Preiß et al., 2019) sind 85% der Bewohner*innen alleinlebend und eine deutliche Mehrheit ist bereits über 80 Jahre alt (57%). Über ein Drittel benötigt Pflegebedarf und etwa ein Zehntel weist eine demenzielle Erkrankung auf. Was sie wiederum eint, sind die Umzugsmotive in solch eine institutionalisierte Wohnform: das Bedürfnis nach Versorgungssicherheit und die Möglichkeit zur Vergemeinschaftung (Kremer-Preiß, 2018).

Dies geht einher mit dem zweiten Argument, dass solche Betreute Wohnformen einen be-sonderen Bezug zum Gemeinwesen und zum Quartier aufweisen und sozialräumliche, vernetzte und partizipative Ansätze relevanter Bestandteil deren Einrichtungskonzepte darstellen – Stichwort: lokale Verantwortungsgemeinschaft (Kremer-Preiß, 2018).

Dieses spezielle Wohnsetting und deren Bewohnerschaft bieten insofern für das Verbund-projekt geeignete Kontextbedingungen, da sie eine heterogene Zielgruppe hochaltriger Personen umfasst, deren Digitalisierungsgrad insgesamt niedrig sein wird, wenngleich auch gro-ße interpersonelle Unterschiede bestehen können – was wiederum förderlich für die Umset-zung und Etablierung von digitalen Bildungsangeboten und insbesondere von Peer-to-Peer-Angeboten und informellen Lerngruppen sein kann. Ebenso können bestehende Angebotsstrukturen zur Vergemeinschaftung für Untersuchungen zu bildungstheoretischen und bil-dungspraktischen Forschungsinhalten im Bereich sozialer Teilhabe und Einbindung zum Sozialraum genutzt werden (z.B. auch zur Förderung digitaler Nachbarschaften und Sorgegemeinschaften).

2. Grundlagenforschung zu Bildung im hohen Alter

Forschungstheoretischer Schwerpunkt des Verbundprojekts ist die empirische Bildungsfor-schung unter Bezugnahme gerontologischer, erziehungswissenschaftlicher und medienpä-dagogischer Theorien und Konzepte. Forschungsleitend sind grundsätzliche Fragen zu Mög-lichkeiten und Grenzen (digitaler) Bildungsprozesse und Bildungsgestalten älterer und besonders hochaltriger Menschen, wie z.B.: Welche Bezugspunkte und Rückwirkungen gibt es zur Bildung-, zur Medien- und Technikbiographie, zur Identitätsarbeit und zur Lebenswelt und inwiefern bestehen hierbei alters-, kohorten-, geschlechts- und ressourcenspezifische Interdependenzen und Spezifikationen?

Ein weiterer Forschungsschwerpunkt behandelt geragogisch-bildungspraktische Forschungs-fragen, bei dem es u. a. um die Entwicklung und Gestaltung von informellen und non-formalen digitalen Bildungsformaten für ältere und hochaltrige Menschen geht. Im Mittel-punkt stehen lerntheoretische Fragen zur Medienaneignung und zur digitalen Bildung und Souveränität im Mittelpunkt, wie auch konzeptionelle Fragen zu Lernmodellen und zu Bil-dungsportalen (Plattformen) für ältere Menschen. Hierzu werden kritische Reflexionen wie z. B. zum Kompetenzbegriff einbezogen (vgl. Wanka & Gallistl, 2020).

3. Differenziertes Altersbild zu hochaltrigen Menschen mit Betonung der sozialen Teilhabe

Das Grundprinzip eines differenzierten Altersbildes hochaltriger Menschen soll im Verbundprojekt auch in Bezug auf die Digitalisierung bedacht werden. Hierzu lassen sich zwei Narra-tive anführen: Zum einen soll der Begriff der sozialen Teilhabe weiterentwickelt werden. Im öffentlichen Diskurs wird Teilhabe in Bezug auf Digitalisierung im Alter zumeist im Sinne einer „Teilnahme“ diskutiert; der Aspekt der „Teilgabe“ (vgl. Zippert, 2017), wird hingegen selten explizit angeführt. Dies umschließt auch seelisch-geistige Potenziale hochaltriger vulnerabler Menschen, was als deren Beitrag zum Humanvermögen verstanden werden kann (Kruse, 2017).

Es geht daher im Projekt nicht nur darum, dass hochaltrige (vulnerable) Menschen digitale Zugänge und Kompetenzen vermittelt bekommen, um länger selbstständig bleiben zu können und (wieder) am sozialen Leben teilnehmen zu können. Es soll darüber hinaus unter-sucht werden, inwiefern diese Zielgruppe durch die Digitalisierung eine Reziprozität von (teil-)nehmen und (teil-)geben und damit auch von „geteilter Verantwortung“ (Kruse, 2017) erfahren kann. Inwiefern können digitale Bildungsprozesse beitragen, sich als hochaltriger und mitunter vulnerabler Mitbürger*in im Sozialraum zu beteiligen, mit zu gestalten und Sorge und Mitverantwortung für andere, für die Gemeinschaft und die Gesellschaft zu übernehmen? Forschungsleitend wären Fragen zu möglichen mittel- und langfristigen Effekten auf die allgemeine Selbstwirksamkeit, Obsoleszenz, Zukunftserwartung, auf das eigene Altersbild und Wohlbefinden.

Zu einem differenzierten Altersbild gehört auch, dass ältere Menschen, die keine digitalen Anwendungen nutzen wollen oder können oder sich bewusst gegen eine digitale Teilhabe aussprechen, nicht als defizitär stigmatisiert werden dürfen. Digitalisierung und ihre gesell-schaftliche Implikationen wie auch ethische Prinzipien wie die der Selbstbestimmung und sozialen Gerechtigkeit gilt es im Projektverlauf kritisch zu reflektieren. Eine aus ethischer Perspektive forschungsleitende Frage ist daher, wie sich durch partizipative Prozesse soziale Ungleichheiten und soziale Ausgrenzungen begrenzen oder vermeiden lassen, die möglicherweise durch im Projektverlauf entstehenden digitalen Angebote in Einrichtungen des Betreuten Wohnens und der Pflege (zwischen Onlinern und Offlinern) ergeben können.

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Untersuchungsdesign

Das interdisziplinäre Forschungsprojekt sieht ein multi-methodales Untersuchungsdesign mit einer Vorbereitungsphase, einer Implementierungsphase, einer Transferphase vor.

1. Vorbereitungsphase (09/2020 – 08/2021)

Diese Phase beinhaltet zwei Schwerpunkte. Zum einen sollen umfangreiche auf nationale und internationale Publikationen basierende Literaturrecherchen zum bildungstheoretischen, mediengerontologischen und medienpädagogischen Forschungsstand im Kontext von „Digitaler Bildung und (hohes) Alter“ unternommen werden. Hierzu gehören auch praxisbe-zogene „Best-Practice-Beispiele“ und digitale Angebote für die Bürgerschaft allgemein und speziell für ältere Menschen im Rahmen der Corona-Pandemie.

Zum anderen sollen im März/April 2021 durch eigene quantitative Untersuchungen Basisda-ten zu den drei Aktions- und Handlungsbereichen „Einrichtungen Betreuten Wohnens und der Pflege“ (onlinebasiert, n=50; Fokus: digitale Infrastruktur, digitale Angebote), deren Bewohnerschaft / Techniknovizen (n=200; Fokus: Medienalltag und Sozialraum) und Digitales Ehrenamt / Technikbegleiter (onlinebasiert, n=100; Fokus: digitale Kompetenzen und Medienalltag) generiert werden. Die Stichproben sind vorrangig auf die beiden Bundesländer Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz bezogen. Doch wird für die beiden onlinebasierten Erhebungen eine Ausweitung auf ganz Deutschland und evtl. auch der Schweiz geplant.

2. Implementierungsphase (09/2021 – 08/2023)

Schrittweise sollen mittels eines Peer-to-Peer-Konzepts bis zu 20 Einrichtungen aus beiden Bundesländern eingebunden werden. Voraussetzung ist, dass sie eine gute digitale Infrastruktur mitbringen (z.B. Ev. Heimstiftung mit dem Tabletsystem Aladien). Im Laufe von drei Jahren sollen insgesamt 100 Technikbegleiter*innen und 200 Techniknoviz*innen aus unterschiedlichen Wohnformen (Betreutes Wohnen und Pflegewohnen) gewonnen werden. Die Ergebnisse aus der Begleitforschung werden in Handlungsempfehlungen und Sammlungen von Good-Practice dokumentiert und zum Transfer aufbereitet.

3. Transferphase (09/2023 – 08/2025)

In dieser Phase sollen abgeleitete Forschungsbefunde in Handlungs- und Bildungskonzepte münden und zu einem Transferkonzept erweitert werden, die auf weitere Wohnformen von Trägern der Altenhilfe in anderen städtischen und ländlichen Regionen skaliert werden. Förderliche und hinderliche Faktoren zur Skalierung und Nachhaltigkeit sollen mit quantitativen und qualitativen Evaluationsmethodiken erfasst werden. Zudem sind an ausgewählten Standorten für die Umsetzung des Transferkonzepts weitere Formate an Aktionsforschung und Partizipationsforschung vorgesehen.

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Forschungsmethodik

Die drei Phasen des Projektes werden flankiert von sechs aufeinander Bezug nehmenden Datenerhebungsformaten quantitativer und qualitativer Methodik, die unterschiedliche Thematiken und Phasen des Projektes adressieren. Die qualitativen und quantitativen Methoden werden einerseits zur Generierung von Grundlagenwissen (Qualitativer Zugang 1 und Quantitativer Zugang 2) eingesetzt. Weitere qualitative Methoden werden im Rahmen der Partizipationsforschung (Qualitativer Zugang 2) und Aktionsforschung (Qualitativer Zugang 3) eingesetzt. Zur Erfassung von Entwicklungsprozessen hinsichtlich Mediatisierung, sozialer Teilhabe und ehrenamtlichem Engagement kommen quantitativ-längsschnittliche Methoden zum Einsatz (Quantativer Zugang 2). Zudem werden die entwickelten Bildungsformate und digitalen Plattformen evaluiert (Quantitativer Zugang 3). Für eine Gesamtübersicht siehe Abbildung.

Übersicht über Forschungsthemen, Methoden und deren Verschränkungen

Untersuchungsdesign Abb

Insgesamt muss für das Sampling aller Daten auch berücksichtigt werden, dass mit den beiden Akteursgruppen (Technikbegleiter und -novizen) eine Stichprobe erfasst wird, die aufgrund ihrer besonderen Lebensphase und Vulnerabilität fluid ist und deswegen Nacherhebungen bei der Planung des Samples berücksichtigt werden müssen.

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Literatur

  • Kremer-Preiß, U., Mehnert, T. & Klemm, B. (2019). Betreutes Seniorenwohnen: Entwicklungsstand und Anforderungen an eine zukunftsgerechte Weiterentwicklung. Ergebnisse einer empirischen Studie (ProAlter PraxisWissen). Heidelberg: medhochzwei.
  • Kremer-Preiß, U. (2018). Betreutes Wohnen – Anforderungen und Wege für eine zukunftsgerechte Weiterentwicklung. Fachtagung „Betreute Wohnkonzepte im Quartier“ am 16. Mai 2018, Stuttgart.
  • Kruse, A. (2017). Lebensphase „hohes Alter“. Reife und Verletzlichkeit. Berlin: Springer.
  • Wanka, A. und Gallistl, V. (2020): Ältere Menschen und Digitalisierung aus der Sicht der kritischen Gerontologie. Expertise zum Achten Altersbericht der Bundesregierung. In: C. Hagen, C. Endter & F. Berner (Hrsg.). Berlin: Deutsches Zentrum für Altersfragen.
  • Zippert, T. (2017). Was ändert die zunehmende Digitalisierung und Virtualisierung an einem christlichen Verständnis des Sozialen? In: T. Hagemann (Hrsg.). Gestaltung des Sozial- und Gesundheitswesens im Zeitalter von Digitalisierung und technischer Assistenz (S.137-154). Baden-Baden: Nomos.

 

Verantwortlich: E-Mail
Letzte Änderung: 14.11.2022
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