ORBIT - Organisation der Rehabilitation für Bewohner im Pflegeheim zur Verbesserung der Selbstständigkeit und Teilhabe

Projektleitung: Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Kruse

Projektarbeitsgruppe: Dr. med. Dipl.-Geront. Gabriele Becker, Dr. med. Anna Natus, Dipl.-Soz. Dipl.-Geront. Christine Stolla, Dr. Andrea Wetzel (AOK Baden-Württemberg)

Projektpartner: AOK Baden-Württemberg

Projektlaufzeit: 01.01.2013 bis 31.12.2016

 

Den Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Stärkung der Rehabilitation wie auch zur vermehrten Integration der Rehabilitation in die Pflege bildet die Plastizität kognitiver und körperlicher Funktionen sowie psychischer Prozesse. Die Heterogenität des Alters, also die großen Unterschiede zwischen Menschen desselben Alters in ihrer körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit sowie in ihrer psychischen Widerstandsfähigkeit verbietet, das Lebensalter als Grundlage für eine Entscheidung über die einzuleitenden Versorgungsmaßnahmen zu wählen.
Entscheidend sind vielmehr die gegebene Leistungsfähigkeit und die gesundheitliche Situation des Individuums sowie dessen Rehabilitationspotenziale – die sehr fundiert zu erfassen sind (auch in ihrem Verlauf). Es ist von besonderer Bedeutung, Verbindungen zwischen Rehabilitation und Pflege herzustellen: Pflege soll danach ausdrücklich Elemente der Rehabilitation aufnehmen, um noch gezielter auf die individuelle Leistungsfähigkeit (Beeinträchtigungen) und Gesundheit (Krankheiten) antworten zu können. Die rehabilitative Orientierung der Pflege ist auch deswegen wichtig, weil damit eine Grundorientierung der Pflege ausdrücklich aufgegriffen und umgesetzt wird: nämlich die körperlichen, geistigen, emotionalen  Ressourcen (Kräfte) eines Menschen zu erkennen und diese in einer Weise zu aktivieren (stimulieren), dass diese vermehrt in die Alltags- und Lebensgestaltung sowie in die Gestaltung sozialer Beziehung eingehen können.

Mit dem Leitbild einer engeren Verbindung von Rehabilitation und Pflege wird zu einem innovativen Bild der Pflege beigetragen, das sich nicht nur positiv auf die Praxis der Pflege auswirkt, sondern auch auf die Arbeitsbedingungen und das Selbstverständnis von Pflegefachpersonen.

Hintergrund

Der Grundsatz Rehabilitation vor Pflege schließt Pflegebedürftige explizit mit ein. Oft sind aber Maßnahmen der geriatrischen Rehabilitation nicht auf Pflegebedürftige zugeschnitten bzw. werden nicht angeboten, oder die punktuelle Verordnung von Heilmitteln kann keinen nachhaltigen Effekt bringen. Eine Möglichkeit der Stärkung der Rehabilitation bei Pflegebedarf liegt in der vermehrten Integration der Rehabilitation in die Pflege. Das Institut für Gerontologie und die AOK Baden-Württemberg haben im Projekt ORBIT ein Konzept zur Umsetzung rehabilitativer Pflege entwickelt. Das Angebot richtet sich an Pflegeheimbewohner mit Rehabilitationsbedarf und –potenzial, die durch die bisherige Versorgung nur ungenügend Unterstützung erhalten. Studien zu Rehabilitation in der Pflege haben einige Effekte auf die Funktionalität gezeigt, die im Vergleich mit Kontrollgruppen zum Teil in Verbesserungen oder in einem geringeren Abbau lagen. Auch bei Menschen mit Demenz konnten Effekte gezeigt werden, die den Erhalt von Fähigkeiten mit sich brachten.


Fragestellung und Zielsetzung


Zielsetzung des Projekts war die Integration von rehabilitativen Maßnahmen in die Pflege. Von zentraler Bedeutung war, welches Entwicklungspotenzial bei Bewohnern von Altenheimen vorhanden ist, wie es durch eine rehabilitative Pflege gefördert werden kann und wie sich rehabilitative Pflege in Altenheimen umsetzen lässt. Die Umsetzung der rehabilitativen Pflege basierte dabei auf der fachlichen Kompetenz der Pflegefachkräfte und der Therapeuten. Eine weitere Zielsetzung des Projekts war daher die Förderung der interdisziplinären Zusammen-arbeit der beiden Berufsgruppen.


Methodik


Das Konzept von ORBIT bestand in einem mehrstufigen Verfahren. Nach der Identifikation des Rehabilitationsbedarfs im Pflegekontext erfolgte ein durch eine Pflegefachkraft ausführlich begründeter Vorschlag für eine Physio- oder Ergotherapie oder eine Logopädie. Es gab keine Ausschlusskriterien, auch Personen mit fortgeschrittener Demenz und/oder schwerer Pflegebedürftigkeit wurden einbezogen. Das Heilmittel wurde vom individuellen Hausarzt des Pflegeheimbewohners geprüft und verordnet. Die intensive Therapie erfolgte zweimal wöchentlich über einen Zeitraum von drei Monaten. Nach der Therapie wurden im schriftlichen Therapiebericht Empfehlungen bestimmter Therapieelemente gegeben, die weitere drei Monate in der Pflege weitergeführt werden sollten. Zu Beginn der begleitenden Datenerhebung (1. Messzeitpunkt) wurde ein ausführliches geriatrisches Assessment durchgeführt, das nach der Therapie (2. MZP) sowie nach weiteren drei Monaten rehabilitativer Pflege wiederholt wurde (3. MZP). Das Assessment erfasste neben soziodemographischen Merkmalen Gesundheitsstatus, Funktionalität, kognitive Leistungsfähigkeit, Depressivität und Lebensqualität. Neben quantitativen Daten wurden auch qualitative Daten erhoben. In leitfadengestützten Interviews wurden jeweils die Pflegefachkräfte und Pflegeheimbewohner befragt, außerdem fanden Experteninterviews mit Therapeuten, Wohnbereichs-, Pflegedienst- und Heimleitern statt.  


Stichprobe


Am Projekt waren 13 Pflegeheime, 59 Hausärzte und 39 therapeutische Einrichtungen beteiligt. Insgesamt wurden 210 Pflegeheimbewohner mit Rehabilitationsbedarf in die Studie aufgenommen. 48 Teilnehmer schieden vorzeitig wegen Erkrankungen, Versterben oder Verlegung aus. Bei 139 Teilnehmern konnte eine komplette Datenreihe mit drei Messzeitpunkten erhoben werden. Gleichzeitig wurde eine Kontrollgruppe von 28 Personen aufgebaut, die ihre Therapie später oder gar nicht erhielten.


Ergebnisse


Das Therapieergebnis – in 76 % der Fälle Physiotherapie – war in der Interventionsgruppe signifikant besser als in der Kontrollgruppe (Mittelwertdifferenzen im Barthel-Index +1,4 vs. -2,7). Der Anteil der Personen, die sich im Barthel-Index um mindestens 5 Punkte verbessern konnten, war in der Interventionsgruppe entsprechend größer (37 % vs. 7 %, Abb. 1)
Abb. 1 Veränderungen im Barthel-Index in der Interventionsstichprobe (N=139) und der Kontrollgruppe (N=28) ohne Intervention im Zeitraum von 3-4 Monaten.

 

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In 30 % der Fälle war ein Erhalt der Fähigkeiten Therapieziel. Die Intervention brachte besonders dann Therapieerfolge, wenn der Verlauf ungestört von Komplikationen war (43 % der Verläufe). Dann gab es signifikante Verbesserungen in der Mobilität, der Selbstständigkeit und der Lebensqualität, deren Erhalt oder Verbesserung auch nach Beendigung der Therapie möglich war. Bei 56 % der Interventionsgruppe konnten die Therapieempfehlungen vom Pflegefachpersonal umgesetzt werden. Gründe für die nur teilweise oder nicht gelungene Umsetzung lagen meist in der mangelnden Belastbarkeit oder Motivation der Pflegeheimbewohner, aber auch in einem Mangel an zeitlichen Ressourcen der Pflegefachkräfte. Gelang die Umsetzung, ließen sich signifikante Mobilitätsverbesserungen auch nach Beendigung der Therapie nachweisen (Abb. 2).
Abb. 2 Mittelwerte im Barthel-Index über die drei Messzeitpunkte in Abhängigkeit von der Umsetzbarkeit der Therapeutenempfehlungen (n = 130).

 

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Auch bei schwer pflegebedürftigen Bewohnern war Rehabilitationspotenzial nachzuweisen, außerdem wiesen die Daten darauf hin, dass auch Heimbewohner mit einer mittleren oder schweren Demenz von der rehabilitativen Pflege profitierten. In den Interviews mit Pflegefachkräften wurde das Konzept begrüßt, verbunden mit den Rehabilitationserfolgen bei den Pflegeheimbewohnern trug es zu einer höheren Motivation und Zufriedenheit der Pflegefachkräfte bei.


Fazit und Ausblick

Die Studie deckte zusätzlichen Rehabilitationsbedarf in Pflegeeinrichtungen auf, wobei häufig auch der Erhalt der Fähigkeiten Interventionsziel ist. Insbesondere bei Verläufen ohne Kompli-kationen und bei gelungener Integration rehabilitativer Elemente in die Pflege war die rehabilitative Pflege erfolgreich, und dies auch bei schwer pflegebedürftigen Heimbewohnern und Menschen mit fortgeschrittener Demenz. Die Studienergebnisse sollen auch politisch Handelnden vorgestellt werden. Der Abschlussbericht ist noch in Bearbeitung.


Publikationen / Präsentationen


AOK Fachtag Reha Alter Plus 3 Prävention, Reha, Pflege, 30. Juni 2017, Stuttgart
Bericht vom AOK-Fachkongress für Prävention, Reha, Pflege, 29.Juni 2016, Stuttgart
Deutscher Pflegetag, 10-12. März 2016, STATION Berlin
„Reha bei Pflege“ SVAktuell Ausgabe 4/2015

 

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Verantwortlich: E-Mail
Letzte Änderung: 08.09.2017
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